Friday 23 January 2015

KAPITEL 6

Dicker Krahl hatte ein großes Zimmer ganz für sich allein. Zu ihm ging ich fast jeden Tag. Unter dem Fenster eine AEG-Mignon. Die Buchstaben mußte man auf einer Tafel suchen und mit dem Typenkopf auf das Papier hauen. In der Ecke ein Bett.

"Durch das Land der Skipetaren".

In der Mitte des Zimmers stand ein ausgezogener Tisch, darauf war eine Stadt aus Bauklötzen aufgebaut, mit Läden, Litfaßsäulen und einem Rathaus. Klein- Winzigerode. Die blieb abends stehn.

Ich war Spediteur. Drei Märklin-Fernlaster mit weißer Rautenleiste an der Ladefläche und aufsetzbarer Leinenplane. Sie rückwärts in den Hof zu lotsen und auf den Millimeter genau nebeneinanderstellen. Reifenspurenhinterlassen... Krubbe, Spediteur. - Ich hätte fünf von den Dingern haben mögen oder zehn. Den Kopf auf die Tischplatte legen, dran entlangkucken, Kühler an Kühler.

Dicker Krahl war der Bankier, er verwaltete die Konten. Das von Klaus Greif, der gute Geschäfte als Baustoffhändler machte und das von Manfred, dem Tankstellenbesitzer. Von jeder verbuchten Summe berechnete er 6%.

"Prozentrechnen, wie macht man das?"

"Durch 100 mal 6; kaprisco, kaprivi, Kapernaum?

"Yes. It's clear."

Manfredwar schlecht dran. Niemand kaufte sein Benzin. Die Autos schob man ja. Eines Tages brachte er eine Pipette mit. Damit wollte er den Autos Wasser einspritzen. Solange sie die Feuchtigkeit hielten, dürften sie fahren, schlug er vor. Dies wurde abgelehnt.

Dicker Krahl war außerdem Bürgermeister, Richter und "Pozelist". Wenn man von ihm was wollte, holte er erstmal die Taschenuhr heraus, wie spät es denn überhaupt sei.

Er wohnte im Seitentrakt des Rathauses. In seiner Garage ein offener schwarzer Mercedes, ein 6-Sitzer, im Katalog als "Führermercedes" bezeichnet, den hatten wir von Struck geliehen. Das Rathaus mit hohem Turm, oben drin ein Wecker, der zum Aufziehen herausgenommen wurde. Alle Gebäude waren oben offen, damit man die Halmamenschen auch führen konnte. Da saßen sie in komfortablen Knetgummisesseln, an Knet gummitischen, tranken aus Knetgummitassen und aßen Knetgummitorte, grün mit gelben Tupfen: "Knetgummin". Sie trugen Papierkleider, die es in einem Warenhaus zu kaufen gab.

Zum Kaffee kam Frau Krahl nach oben gekeucht, dick, in Familienkorpulenz. Sie stellte uns Schmalzbrote hin, und jeder kriegte eine Tasse Schokolade. Das Schmalz war erstklassig, nicht zuviel Äpfel drin, die Grieben kroß und aromatisch.

"Speelt ji hier ok schön?"

Herr Krahl,ebenfalls dick, cholerisch, ließ sich selten sehen. Er besaß ein kastenförmiges Auto mit Gardinen. "Na, du Maihecht?" sagte er immer zu mir, und einmal, als ich ihn fragte, ob ich mit Fritz spielen könne: "Hüt nich; sünd all twee bäben."

Eine Zeitung wurde herausgegeben und ein Museum gebaut. Klaus Greif errichtete es aus Anker-Steinbaukästen, dauerhaft und repräsentativ: vor der Front eine Reihe hoher Säulen, einen Knetgummifries am Giebel: "Schlacht bei Sparta."

Das Museum hatte verschiedene Abteilungen, in denen hingen Zigarettenbilder ("Die Malerei der Gotik"). In einem Saal, zu dem man über einen Innenhof gelagte, waren WHW-Plaketten wie Epitaphe angebracht. DER SAAL DES 1. MAI. Im Innenhof zwei präsentierende Lineol-Soldaten als Skulpturen.

Zur Einweihung des Museums erschienen die Halmamenschen vollzählig. Alle Grünen ordneten wir zu Militär. Die Blauen waren Marine aus Kiel, die Roten freiwillige Feuerwehr. Schwarz die SS.

Das alter ego von Bürgermeister Krahl fuhr im Führermercedes die geschmückte Hauptstraße entlang, gefolgt von einem Rennwagenkordon in Silber. Gelbe Halmasteine als SA umsäumten die Fahrbahn.

"Heil!" riegen wir mit Flüsterstimme, das klang laut und entfernt zugleich.

Sollte man den Marktplat nicht lieber neu gestalten? Rathaus, Museum und - , ja: Kirche oder Kino, das war die Frage. Dicker Krahl besaß eine Lanterna Magica. Das gab den Ausschlag: Kino. Manfreds Tankstelle müsse dann allerdings verschwinden.

"Immer ich", sagte er.

"Du bist dann eben ein Jude..."

Manfred griff in die Kasse des Bankiers. Klaus Greif rief: "Halt!" Bis auf weiteres nahm er ihn in den Schwitzkasten. Der Bürgermeister warf Manfreds Halmastein-Doulble ins Gefängnis, eine mit Streichholzgittern versehene Knetgummi-Kiste.

Die Mauern der neuen Tankstelle wurden eingerissen, das Knetgummimobiliar der Wohnung auf dem Marktplatz versteigert. "Wir wissen ja gar nicht, wie lange du uns schon bestohlen hast!"

Was sollte man mit seinem Halmastein tun? Kopf abhacken? Aus dem Fenster schmeißen, verbrennen, eingraben? Das sollte Sache eines ordentlichen Gerichtsverfahrens werden.

Manfred rief, er müsse jetzt nach Hause gehn.

"Hähä! Wir lassen dich man nicht!"

Doch, wir müßten ihn lassen! Er habe seine Schularbeiten noch nicht gemacht, er müsse zum Zahnartz! Sie kriegten Besuch!

Klaus Greif warf ihn auf das Bett.

"Jetzt sollst du mal sehen, was dir passiert!"

Davor bewahrte ihn jedoch Frau Krahl: "Klausi, din Vadder hett allwedder anweckt, du sast na Hus kamen..." sagte sie.

Was ich meinte, fragte Manfred auf dem Nachhauseweg, was Klaus Greif wohl mit ihm vorgehabt habe? Ihn fesseln? Auf den Oberarm schlagen? Auf dem Oberarm gäbe es eine Stelle, wenn man die treffe, dann sei der Arm'ne ganze Zeit lahm. Oder was sonst? Vielleicht peitschen? Was meinte ich? Ob ich die Bastonade kenne? Da würden die Füße hochgebunden und mit dem Stock draufgeschlagen. Das stelle er sich eigentlich nicht so schmerhaft vor. Auch stranguliernen, das könne er aushalten. Aber den Arm in kochndes Wasser halten und dann "den Handschuh aufziehen"... Das wär doch wahnsinnig! OB dann die Adern auch mit abgingen oder ob die so oberhalb des Fleisches lägen?

In "Zwischen Rot und Weiß" würde beschrieben, wie sie Gefangenen die Eier mit zwei Zeigelsteinen breitquetschen.

Mein Zuspätkommen wurde zu Haus mit Wohlwollen hingenommen, ich erzählte ja von Geldüberweisungen und von Schecks.

Ob scho mal einer pleite gemacht habe? wollte mein Vater wissen, so wie Herr Lange zum Beispiel, den kennte ich doch, nicht wahr? Das wäre der, der sichh und seine Familie jetzt kümmerlich vom Klavierstimmen ernähren müßte. ("Der arme Mann.")

Angebot und Nachfrage regle die Wirtschaft, der Schwacche werde zerquetscht. Klare Sache und damit hopp!

Herrlich, daß ihr so schön spielt", sagte meine Mutter, "fabelhaft."

Das sei ja das Schade, sagte mein Bruder, daß er damals keinen so guten Freund gehabt habe: Den halt dir man warm."
 
 
Tadellöser und Wolff - Walter Kempowski - 6. Kapitel








 
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